Ist vegane Ernährung gesund? Ein 6 jähriger Selbstversuch
Vegane Selbstversuche liegen im Trend. Deutsche Medien schicken ihre Journalist*innen reihenweise in vegane Supermärkte und lassen sie mit Mandelmus und Zucchininudeln experimentieren. Googelt man die Worte „vegan Selbstversuch“ erscheint eine Fülle von Artikeln die von 7-tägigen bis hin zu 6-wöchigen Selbstversuchen berichten. Die Resümees fallen dabei sehr unterschiedlich aus.
Unnatürlich, ungesund und teuer
Die einen sind begeistert und wollen dabei bleiben, die anderen wollen innerhalb weniger Tage einen körperlichen Leistungsverfall an sich beobachten und wieder andere vermissen Käse oder Wurst, empfinden die vegane Kost aber als willkommene Abwechslung. Punkte die auch immer wieder angeführt werden sind die Unnatürlichkeit der veganen Ernährung, die hohen Kosten und der Glaube, dass vegane Ernährung schlicht und ergreifend ungesund ist.
Mein Selbstversuch
Nun, da ich mich jetzt schon seit 6 Jahren vegan ernähre, möchte ich heute mal über meinen „Selbstversuch“ berichten und auf die Kritikpunkte der anderen Selbstversucher eingehen.
Beginnen wir mit der Frage, ob vegane Ernährung gesund ist. Da diese Frage äußerst unspezifisch ist, kann eigentlich auch nur eine unspezifische Antwort gegeben werden. Denn es gibt nicht DIE vegane Ernährung. Man kann sich ausgewogen und vollwertig vegan ernähren und lebt damit allgemein ziemlich gesund. Man kann sich theoretisch aber auch nur von Pommes, Chips und Limonade ernähren und lebt damit vegan – und zwar ziemlich ungesund.
Was kannst du dann überhaupt noch essen?
Ich persönlich habe mich ausgiebig informiert, nach und nach meine Ernährung umgestellt und würde meine Ernährung als vollwertige, ausgewogene vegane Kost bezeichnen. Dazu gehören viel frisches Obst und Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, Pseudogetreide wie Amaranth und Buchweizen, Sojajoghurt, Reismilch, Nüsse, Samen und wenn ich Lust darauf habe auch mal Schokolade, Kuchen und Knabberkram. Außerdem nehme ich ein Vitamin B12 Supplement und betreibe regelmäßig Ausdauer- und auch Kraftsport.
Vor wenigen Tagen habe ich das Ergebnis meines Bluttests bekommen. Alle Werte, inklusive Vitamin B12, Eisen und Vitamin D, befinden sich in einem optimalen Bereich. Na, wer hätte das gedacht?! Und das bei 6 Jahren ohne Fleisch, Milch und Eier. Verrückt… oder?
Jeder muss auf sich und seine Ernährung achten
Wenn jemand unter einem Mangel an Nährstoffen leidet, sollte man die Ernährung im Detail betrachten und nicht kategorisch danach unterscheiden ob sie oder er vegan lebt oder nicht. Fakt ist, dass jeder Mensch auf seine Ernährung achten und sich informieren muss – egal ob Veganer*in, Vegetarier*in oder Mischköstler*in.
Dass eine Mischkost automatisch vor einem Mangel schützt und zu besseren Leistungen führt, ist ein Trugschluss. So ist Eisenmangel eine der weltweit häufigsten ernährungsbedingten Erkrankungen – auch in Industrienationen, die bekanntlich einen sehr hohen Fleischkonsum aufweisen (Fleisch = Eisen???). Ein weiteres Beispiel ist der Zusatz von Jod in unserem Speisesalz. Nahrungsmittel in jodarmen Regionen wie Deutschland können den Bedarf an Jod nicht decken, weshalb eine Jodierung des Speisesalzes notwendig ist. Ist das ein Grund, die Mischkost automatisch als unnatürlich zu bezeichnen? Nun, bei veganer Ernährung wird genau solch ein Zusatz von Vitaminen als „Gegenargument“ angeführt. Ich rede vom Vitamin B12.
Die Sache mit dem Vitamin B12
Vitamin B12 muss zum Beispiel in Indien von vegan lebenden Menschen nicht zusätzlich eingenommen werden, da Indien quasi eine Vitamin-B12-reiche Region ist. Durch die niedrigeren Hygienestandards in Produktion und Verarbeitung werden die Bakterien, welche das Vitamin B12 bilden, nicht abgetötet sondern mit der pflanzlichen Nahrung aufgenommen. Daher ist das Argument, eine vegane Ernährung sei als Dauerkostform nicht geeignet, da man Nahrungsergänzungsmittel nehmen muss nicht tragbar, da offensichtlich auch Mischköstler je nach Region nicht alle Nährstoffe abdecken können und auf Zusätze angewiesen sind.
Dieses Beispiel zeigt auch, dass eine vegane Ernährung in bestimmten Regionen der Welt auch völlig ohne Nahrungsergänzungsmittel möglich und daher ebenso natürlich ist. Wir in den westlichen Industrienationen sind bei einer rein pflanzlichen Kost auf Vitamin B12-Zusätze angewiesen, das macht diese Ernährungsform aber nicht mehr oder weniger natürlich als eine Mischkost da diese ebenfalls auf Zusätze angewiesen ist, wie das Jod-Beispiel belegt.
Der Kostenfaktor
Kommen wir nun zu den angeblich so hohen Kosten der veganen Ernährung. Auch hier möchte ich aus eigener Erfahrung berichten. Von meinen 6 Jahren als Veganerin war ich 3 Jahre lang Studentin. Ich gehörte also zu den Geringverdiener*innen und musste peinlich genau auf meine Einnahmen und Ausgaben achten. Da mein Bluttest ergeben hat, dass meine Werte in einem optimalen Bereich liegen, habe ich gezeigt, dass eine gesunde vollwertige vegane Ernährung auch als Geringverdiener*in möglich ist. Außerdem versuche ich einen großen Teil meiner Lebensmittel aus Gründen der Nachhaltigkeit in Bioqualität zu kaufen. Ja, all das ist auch mit wenig Geld möglich. Man muss seiner Gesundheit und der Umwelt zu liebe eben die richtigen Prioritäten setzen.
Mein Fazit
Das Fazit meiner 6 jährigen Zeit als Veganerin? Was vor einigen Jahren noch belächelt wurde ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Eine vollwertige und ausgewogene vegane Ernährung ist gesund und als Dauerkostform geeignet. Das belegen zahlreiche Studien und auch ich bin der lebende Beweis: Vegan ist gesund, lecker und auch mit geringem Einkommen umsetzbar!
Ich habe in dieser Zeit so viele unglaublich inspirierende tolle Menschen getroffen die alle völlig undogmatisch die vegane Idee in die Mitte der Gesellschaft tragen und dafür möchte ich „Danke“ sagen! Danke, dass ihr euch für Menschen, Tiere und Umwelt einsetzt und euch nicht durch unseriöse „Fakten“, negative Selbstversuche und scheinbar endlose Diskussionen entmutigen lasst. Denkt immer daran: Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.
August 6th, 2015 at 12:06
sehr guter text! diese vegan-für-einen-artikel texte nehmen echt überhand.
August 6th, 2015 at 18:43
Danke 🙂 Ich dachte mir auch diesen ganzen 7 Tage-Selbstversuchen muss mal eine fundierte Erfahrung entgegen gesetzt werden 😉
August 7th, 2015 at 14:14
Hallo,
vielen Dank für diesen Artikel. Ich kann nicht ganz verstehen, warum jemand bei der Abwesenheit von Fleisch, Fisch, Meeresfrüchten, Ei- und Milchprodukten sowie tierischen Fetten für sagen wir mal 7 Tage sofort behauptet, er hätte sich vegan ernährt.
Demnach bin ich mit schöner Regelmäßigkeit Teilzeit-Veganer und die meisten Wochen Vollzeitvegetarier, weil ich Fleisch oder Fisch maximal 2 Tage die Woche zu mir nehmen möchte.
Danke für den Hinweis zur Supplimentierung. Tatsächlich war mir nicht bewusst, dass wir in Deutschland via Jod zwangssweise Zusatzsstoffe erhalten, obwohl mir seit Jahrzehnten völlig klar ist, dass überall Jod zugesetzt wird (welches ich hartnäckig versuche, zu meiden). Auch dass dies global betrachtet nicht überall notwendig ist. Soweit ich weiß, ist die Ernährung in Indien, aber auch in Nepal und einigen südostasiatischen Ländern ursprünglich hauptsächlich vegetarisch bis vegan. Erst die Verwestlichung hat den Fleischkonsum hier sprunghaft in die Höhe getrieben.
Ein sehr schön reflektierter Artikel.
Danke sehr.
Liebe Grüße
Felis
August 8th, 2015 at 15:37
Danke Felis 🙂